16.04.2025
Zwei große Kaufhausketten erhalten vom Land Baden-Württemberg keinen Schadensersatz wegen Gewinnausfällen aufgrund des Corona-Lockdowns. Das hat das Landgericht (LG) Stuttgart entschieden. Die Muttergesellschaft der Kaufhausketten hatte über 32 Millionen Euro geltend gemacht.
Sie sieht sich durch die Rechtsverordnungen zu den Lockdowns vom 18.03.2020 bis 03.05.2020 (Lockdown I) und vom 16.12.2020 bis 22.04.2021 (Lockdown II) in ihren Grundrechten verletzt. Die Betriebsschließungen seien rechtswidrig gewesen, da sie ohne in sich stimmiges, durchdachtes epidemiologisches Konzept und ohne vollständige und sachlich richtige Entscheidungsgrundlage getroffen worden seien. Auch macht die Klägerin eine Verletzung des Gleichheitssatzes geltend, da etwa Baumärkte während der Lockdowns hätten öffnen dürfen.
Das LG Stuttgart hat entschieden, dass den Kaufhausketten keine Entschädigungsansprüche zustehen. Rechtsgrundlage für die Betriebsschließungen und -beschränkungen im Einzelhandel anordnenden Rechtsverordnungen sei das Infektionsschutzgesetz gewesen.
Die Weltgesundheitsorganisation habe die weltweite Ausbreitung von Covid-19 am 11.03.2020 zu einer Pandemie erklärt. In den streitgegenständlichen Zeiträumen habe es in Deutschland und in Baden-Württemberg, wie sich aus den Lageberichten des Robert-Kochs-Instituts (RKI) ergibt, zahlreiche mit SARS-CoV- 2 infizierte Menschen und damit eine hohe Anzahl Krankheits- und Ansteckungsverdächtiger gegeben. Der Bundesgerichtshof habe dementsprechend in seinen Entscheidungen vom 03.08.2023 (III ZR 54/22) und 11.02.2024 (III ZR 134/22) ausführlich dargelegt und begründet, dass im Zeitraum von März 2020 bis Oktober 2021 die Voraussetzungen des Infektionsschutzgesetzes vorlagen. Dieser Rechtsprechung schließe sich die LG an.
Die Verordnungen waren laut LG rechtmäßig und vereinbar mit dem Grundgesetz. Durch die Anordnung von Betriebsschließungen und -beschränkungen habe das Land zwar in die Substanz der Grundrechte der Kaufhausketten eingegriffen. Die Maßnahmen seien jedoch verhältnismäßig gewesen.
Denn die Verhältnismäßigkeit einer Regelung, der prognostische Entscheidungen zugrunde liegen, sei nicht nach der tatsächlichen späteren Entwicklung, sondern danach zu beurteilen, ob der Verordnungsgeber zum Zeitpunkt der Maßnahme davon ausgehen durfte, dass die Maßnahme zur Erreichung des gesetzten Ziels geeignet, erforderlich und angemessen war.
Infektionsschutzrechtliche Entscheidungen, die im Zuge einer Pandemie mit einer neuartigen Krankheit und einem dynamischen Infektionsgeschehen getroffen werden, müssten typischerweise auf einer nicht gesicherten Erkenntnislage ergehen, hebt das Gericht hervor. Das bringe zwangsläufig Ungewissheiten sowie Spielräume bei den Handlungsoptionen mit sich. Dem Verordnungsgeber habe daher bei der Wahl der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung ein weiter Beurteilungsspielraum zugestanden. Den habe er vorliegend nicht überschritten.
Die landesrechtlichen Regelungen, die Schließungen und Beschränkungen des Einzelhandels anordneten, hätten darauf abgezielt, durch die Reduzierung zwischenmenschlicher Kontakte die weitere Verbreitung des Virus zu verlangsamen und das exponentielle Wachstum der Infektionen zu durchbrechen, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden und die medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.
Es liege kein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot vor. Die Entscheidung der Landesregierung, Einzelhandelsbetriebe, die der Grundversorgung dienen, von den grundsätzlichen Schließungsanordnungen auszunehmen, stehe mit dem Gleichheitsgrundsatz in Einklang. Die Privilegierung des den Grundbedürfnissen der Bevölkerung dienenden Einzelhandels, der für das tägliche Leben nicht verzichtbare Produkte verkauft, sei durch gewichtige Belange des Gemeinwohls gerechtfertigt. Dass das nicht nur Lebensmitteleinzelhandel umfasst, sondern auch ausgewählte andere Non-Food-Händler wie Baumärkte, die ebenfalls für die Grundversorgung erforderlich eingeordnet wurden, hält das LG für sachlich gerechtfertigt.
Der Umstand, dass dem privilegierten Einzelhandel mit Mischsortiment auch der Verkauf von Waren erlaubt wurde, die nicht der Grundversorgung dienen, obwohl anderen Betrieben die Betriebsöffnung untersagt war, sei ebenfalls durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Das Land habe im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums davon ausgehen können, dass der Verkauf von anderen Produkten in der Grundversorgung dienenden Geschäften jedenfalls dann, wenn sie nur einen untergeordneten Umfang annehmen, zu keinem zusätzlichen Anstieg der durch die Öffnung des Einzelhandels ohnehin geschaffenen Infektionsquellen führen würde. Gleichzeitig habe es im Rahmen seines Beurteilungsspielraums davon ausgehen können, dass eine Öffnung des nicht bereits aus anderen Gründen zu öffnenden Einzelhandels voraussichtlich einen erheblichen Anstieg dieser Infektionsquellen nach sich ziehen würde.
Landgericht Stuttgart, Urteil vom 15.04.2025, 7 O 224/23, nicht rechtskräftig